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Doch der Monsun kennt seine Zeit
Nur der Monsun kennt seine Zeit. In der vergangenen Woche war ich wieder einmal in Varanasi. Es zieht mich jetzt häufiger in diese Stadt. Die Heilige, die schon vor dem Beginn der Geschichte gelebt hat. Die keine Legenden braucht, um ihre Analen zu schreiben. Ich verbringe Tage auf den Treppen, die zum dem Heiligen Fluss herunterführen. Mit dem Blick hinüber zu dem Manikarnika Ghat. Schon mit dem Sonnenaufgang verweile bei den namenlosen Pilgern, die schon zu dieser frühen Zeit die Stufen hinab gestiegen sind. Um nach der Erlösung ihrer Seelen aus dem drückenden Kreislauf von Geburt und Wiedergeburt zu suchen. Je weiter ich ihnen folge, desto weiter verschwimmen die Grenzen.
Ich versuche zu begreifen, an was ich geglaubt habe. War es sinnvoll gewesen? Da leuchtet kein Ziel auf. Der Weg führt weiter, auch wenn wir ihm nicht mehr folgen. Das Erinnern wird zu unserer Geschichte. Nicht das, was wir erlebt haben. Mit den Zweifeln an der Sinnhaftigkeit verbleiben wir in unserer eigenen Unruhe.
Seit vierzig Jahren weiß ich, dass mein Leben aus einer geheimnisvollen, unversiegbaren Quelle gespeist wird. Der übermächtigen Liebe zu Indien. Mit dem Blick zurück blättert sich ein filigraner Bilderbogen auf, der sich aus der Welt der kleinen Dinge fügt. Ist dieses Erinnern wert, erzählt zu werden?
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Wir können an den vielen kleinen Ereignissen, denen wir täglich begegnen, vorübergehen. Doch eines Tages werden wir von ihnen eingeholt, überholt. Und wir erkennen sie als das, was unser Leben ausmacht. Weil unser Lächeln, wie auch unsere Verzagtheit, so unentrinnbar von der Willkür des signaturlosen Schicksals abhängig ist. Dass uns die Welt der kleinen Dinge immer wieder entgegen prallt. Das große ‚Warum’ und das ‚Wofür’, das uns immer wieder aufhorchen lässt, tritt aus der Stille nicht hervor. Wir können die Fragezeichen nicht ergründen. Oder gar diskutieren. So müssen wir uns wundern, warum wir uns nicht schon früher die Sensibilität für die kleinen Dinge des Lebens erschlossen haben.
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Wie das fühlende Individuum auf die Wechselfälle des Lebens, auf das Geschehen am Rande der großen Weltgeschichte reagiert, darin verbirgt sich das Geheimnis Indiens. Was dürfen wir hoffen? „Unser Leben hat nur den Sinn, den wir ihm geben.“ Ist das eine indische Antwort? Vielleicht bin ich immer ein Fremder in Indien geblieben